„JEDE ZEIT HAT IHRE AUFGABE,
UND DURCH DIE LÖSUNG DERSELBEN RÜCKT DIE MENSCHHEIT WEITER.“

HEINRICH HEINE

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Mo 04. Nov 2024

"Religion und Rebellion" – Heinrich Heine zwischen Glauben und Gottlosigkeit

In seinem bemerkenswerten Vortrag, eine unikale Monografie über das Verhältnis von Heine zu Religionen, führte uns HF Dr. Andreas Turnsek auf eine Reise durch die Etappen und Stationen der Lebensgeschichte von Harry alias Heinrich Heine, um Licht in die komplexen, auch oszillierenden, teils widersprüchlichen Beziehungen zu den jüdischen, christlichen und gar muslimischen Glaubensbekenntnissen zu werfen. Ein schwieriges Unterfangen, da prima vista der romantische Poet und scharfzüngige Kritiker wie ein Chamäleon nicht eindeutig Farbe bekennt. So schwanken die Wahrnehmungen vom blasphemischen, gottlosen Zyniker bis hin zum frömmelnden Minnesänger. Diese Widersprüche lösen sich jedoch auf, betrachtet man die differenten Plateaus seines vielseitigen Schaffens .- der verklärt-verträumte Dichter hier, der hellsichtig-humanistische Analytiker der politischen und gesellschaftlichen Zustände dort - sowie seinen bürgerlicher Status als Jude, der abgesehen von antisemitischen Schmähungen ein Hindernis für eine berufliche Karriere war.

 

Betrachten wir zunächst den Bürger Heine: Als Kind jüdischer Herkunft erhielt Heine weder im Elternhaus noch in der Schule eine traditionell jüdische Erziehung. Er besuchte, wie auch seine beiden Brüder, ein katholisches Lyzeum, genoss eine neuhumanistische Bildung, die ihm seine Lehrer, Katholiken und Jesuiten, vermittelten. Einen starken Einfluss übte auch Napoleon aus, dessen Besuch in der Residenzstadt des Großherzogtums Berg er 1811 enthusiastisch erlebte. Die Parolen der Revolution - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, gepaart mit Wahrheit und Vernunft - waren doch Säulen einer künftigen Weltreligion, die den Geist des jungen Heine beflügelten. Mit dem orthodoxen Judentum wurde Heine in Frankfurt, wo er Boerne kennenlernte, und später im Hamburg vertraut. Nach dem Wiener Kongress 1815 keimte in teutonischen Seelen schnell ein Antisemitismus auf, dem Heine als Student in Bonn ausgesetzt war. Vor seiner Promotion in Göttingen 1824 beschloss er, um als Jurist eventuell eine Laufbahn einschlagen zu können und auch als deutscher Dichter anerkannt zu werden, die Konversion zum protestantischen Glauben. Aus Harry wurde Heinrich, mit dem er sich nie hat anfreunden können, auch weil die Taufe seine jüdische Abstammung nie hat abwaschen können. „Der Taufzettel ist das Entre Billet zur Europäischen Literatur“, wie er bitter vermerkt. (Anmerkung hb: Student an der Uni Düsseldorf von 1975 - 1981. In den Debatten für eine Heinrich Heine Universität tauchten in der Phalanx der Gegner oft die Argumente Vaterlandsverräter und Jude auf, erschreckend!)

 

Über seine intensive Befassung mit Religionen und religiöse Einflüsse in seinen Werken seien hier nur kurz einige Beispiele erwähnt. Seine Abscheu vor Hamburg kompensierte Heine mit der Verliebtheit in seine Cousinen, die in vielen wunderschönen Gedichten Ausdruck fanden. Eine Renaissance des Minnegesangs, der eine Profanisierung des Madonnenkults war, wie er es auch eingestand. „Ich muss ja eine Madonna haben.“ In der Tragödie „Almansor“ kritisiert er emphatisch die Unterdrückung der muslimisch-maurischen Kultur durch die Reconquista der Katholiken, nennt dort das Christentum als „schmutzige Idee“. Seine Eindrücke und Empfindungen über jüdisches Leben im Ghetto in Frankfurt flossen in sein Romanfragment „Der Rabbi von Bacharach“. Martin Luther spielt eine bedeutende Rolle in seiner Schrift „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“, da Luther der Vernunft als höchste Instanz den alleinigen Wert eines Gradmessers zuerkannte, das Wort Gottes aus der Bibel zu verstehen, folglich die Geistesfreiheit etablierte. Das von Luther verfasste Lied „Eine feste Burg ist unser Gott ..“ nennt Heine die Marseilleise der Reformation und schließt daran seine Maxime an „Wir kämpfen nicht für die Menschenrechte des Volkes, sondern für die Gottesrechte des Menschen“. Indes kein Freibrief für die Institution Kirche, die Heine aufs Schärfste attackiert, sie „die Pfaffen, Rabbiner, Muftis, Dominikaner, Popen, Bonzen“ als das „ganze diplomatische Corps Gottes“ geißelt, sie als eine Familie wie bei Leuten entlarvt, „die ein und dasselbe Gewerbe betreiben“. Das klingt wie Nietzsches Philosophie mit dem Hammer oder wie die Vertreibung der Geldwechsler und Händler aus dem Tempel durch Jesus Christus. Hier koinzidiert wahre Religion mit Revolution. Heines Religion ist frei von Kirchen, ihren Ritualen, ihren Dogmen. Aus der Matratzengruft schreibt er „Gottlob, dass ich jetzt wieder einen Gott habe..“, den er doch Zeit seines Lebens als Pantheist im Sinne Spinozas, „Deus sive natura“, in sich barg.

 

Für seinen Vortrag war dem exzellenten Heine-Kenner und Heine-Deuter starker Applaus sicher. Auch regte sein Vortrag noch eine lebhafte Diskussion an.

 

(hb)

 

HF Rolf Purpar hat den Verlauf des Abends in schönen Fotos fesrtgehalten.

 

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